Zeitungsartikel: Der Q-Day – das Ende aller Sicherheit (MZ, 13.12.2025)


Zeitungsartikel: Der Q-Day – das Ende aller Sicherheit (MZ, 13.12.2025)

Leistungsfähige Quantencomputer können viele übliche Verschlüsselungen knacken. Stromnetze, Staatsgeheimnisse, das Finanzsystem – alles wäre verwundbar. Was bedeutet das für die Welt?

Von Felix Flesch

Der sogenannte „Q-Day“ wird die Welt für immer verändern. Es ist der Tag, an dem der erste leistungsfähige Quantencomputer seinen Betrieb aufnimmt. Er wird eine Vielzahl von Verschlüsselungssystemen überwinden können. Die meisten mathematischen Rätsel, auf denen die digitalen Sicherheitsschlösser basieren, sind Experten zufolge für einen Quantencomputer kein Problem. Die Folgen könnten dramatisch sein. Militär, Staats- und Geschäftsgeheimnisse, das globale Finanzsystem, kritische Infrastruktur wie Stromnetze: Hacker hätten auf alles Zugriff.

Die gute Nachricht ist, dass das Horrorszenario in der IT-Branche seit den 90er Jahren bekannt ist. Bei einem weltweiten Wettbewerb haben Kryptologen in den vergangenen Jahren neue Verschlüsselungstechniken gesucht, die auf heutiger Technik basieren und trotzdem quantensicher sind. Mit Erfolg. Es handelt sich um neue mathematische Probleme, von denen angenommen wird, dass selbst Quantencomputer diese nicht lösen können. Das heißt dann Post-Quanten-Kryptographie. Die vielversprechenden Verfahren können laut Wissenschaftlern bereits heute in die Netze integriert werden.

Hacker greifen heute Daten ab und bewahren sie auf

Damit sind wir bei den schlechten Nachrichten: Einerseits passiere dieser „Einbau“ viel zu selten. Viele Unternehmen haben von dem Thema noch nie etwas gehört oder sehen darin ein Problem der Zukunft. Wer weiß schon, wann der erste leistungsfähige Quantencomputer fertig ist? Allerdings kann das digitale Sicherheitsupgrade Jahre dauern. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte zeitnah loslegen. Ein anderes Problem ist noch größer. Hacker greifen bereits heute Daten ab, die sie gar nicht entschlüsseln können, und bewahren sie auf. Denn sie wissen ganz genau, dass sie die Daten ab dem Q-Day lesen können. „Store now, decrypt later“ („Jetzt speichern, später entschlüsseln“) heißt das in der Branche. Viele politische oder militärische Geheimnisse haben auch Jahre später enorme Sprengkraft. Ein solcher großangelegter Hackerangriff hat vor einem Jahr in den USA für Aufsehen gesorgt. Kriminelle besorgten sich Nachrichten von ranghohen Regierungsmitgliedern und bekannten Politikern. Auch mehrere Telekommunikationskonzerne waren betroffen. Die USA vermuten, dass China dahintersteckt. Ob die Hacker die Daten jetzt schon entschlüsseln können, ist offen. Klar ist, dass sie es irgendwann können werden.

Nur, wann ist irgendwann? Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geht davon aus, dass der erste leistungsfähige Quantencomputer in höchstens 16 Jahren betriebsbereit ist. Ein Jahr vorher lag die konservative Schätzung noch bei 20 Jahren. Innerhalb eines Kalenderjahres hat sich also die Prognose um vier Jahre reduziert. Dies liegt daran, dass im Jahr 2024 ein wichtiger Meilenstein für diese Technologie erreicht wurde, teilt das BSI auf Anfrage der Mediengruppe Bayern mit.

Staatliche Institutionen sollen bis 2035 quantensicher aufgestellt sein. Das BSI überwacht den Prozess. In der Privatwirtschaft ist das Thema noch nicht wirklich angekommen. Das zeigt eine BSI-Umfrage. Von 150 Firmen und Organisationen, die angeschrieben worden sind, haben nur 28 geantwortet. Und die große Mehrheit rechnet nicht damit, Quantensicherheit zu erreichen, bevor die Vertraulichkeit ihrer Daten verletzt wird.

„Es ist oft so, dass für Unternehmen und Organisationen die Probleme der Gegenwart eine viel größere Rolle spielen“, sagt Martin Bartenberger. Der IT-Fachmann aus Thymau (Landkreis Passau) berät Firmen beim Umstieg auf quantensichere Verschlüsselungstechniken. Er arbeitet unter anderem für Signal. Der Online-Messenger aus den USA ist ein Vorreiter, was Post-Quanten-Kryptographie angeht. Auch Apple und viele gängige Browser haben sich schon aufs neue Zeitalter eingestellt. Einige Nutzer kommunizieren post-quanten-verschlüsselt, ohne es zu wissen.

Bartenberger zufolge handelt es sich bei den neuen Verschlüsselungen nicht um komplett neue Sicherheitssysteme. Stattdessen „kombinieren wir die bewährten Verfahren mit den neuen. Wir bauen quasi ein zusätzliches Schloss ein“, erklärt er. Allerdings könne das Jahre dauern. Besonders zeitaufwendig sei die Inventur. Bei dieser untersuchen IT-Experten wie Bartenberger, wo ein Unternehmen genau Verschlüsselungen einsetzt. Sie schauen also, wo neue Schlösser integriert werden müssen.

Sowohl Bartenberger als auch das BSI raten allen, die mit kritischen Informationen zu tun haben, jetzt mit der Umstellung anzufangen. „Banken, Krankenhäuser, Versicherungen, große Industriebetriebe und alles Staatliche sollten schon heute tätig werden“, sagt Bartenberger. Für Privatleute bestehe keine Gefahr. An seinem privaten Handy und Laptop muss man nichts ändern. Die Gefahr gehe künftig besonders von staatlichen oder staatsnahen Akteuren aus. Nicht jeder Hacker werde einen Quantencomputer besitzen. „Man brauche die nötigen Ressourcen“.

Bayern testet Einbau von quantensicheren Systemen

Bei der bayerischen Staatsregierung scheint das Thema angekommen zu sein. Zumindest hat der Freistaat als erstes Bundesland eine Landesbehörde für IT-Sicherheit errichtet, das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI). Auch das LSI warnt mit Blick auf die „rasante Weiterentwicklung von Quantencomputern“ vor „erheblichen sicherheitsrelevanten Risiken“, wie es auf Anfrage unserer Zeitung heißt.

Damit die ganze Theorie auch in der Praxis ankommt, beteiligt sich das LSI mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg und dem Zweckverband der Wasserversorgungsgruppe Laber-Naab an einem Projekt. Es geht darum, die Wasserversorgung quantensicher zu machen. Der Zweckverband soll eine Blaupause für ganz Bayern werden. Prof. Dr. Jürgen Mottok ist an der OTH Regensburg der Experte auf diesem Gebiet. Er ist Forschungsprofessor für IT-Security und Leiter des Labors für Software-Engineering (Laboratory for Safe and Secure Systems) und arbeitet europaweit an Projekten zur Post-Quanten-Kryptographie mit. „Im Zentrum steht immer die kritische Infrastruktur“, sagt Mottok. Hier seien Deutschland und Europa besonders empfindlich. „Wenn wir nicht gut auf das Quanten-Zeitalter vorbereitet sind, könnten drei bis vier Tage nach einem Angriff auf unser Energienetz chaotische Zustände ausbrechen“. Europa müsse sich quantensicher aufstellen. Das sei alternativlos. Denn der „Q-Day“ werde kommen. Die Frage sei nicht mehr ob, sondern nur noch wann.


Woran scheitern Quantencomputer noch?

Wer als erstes einen leistungsfähigen Quantencomputer entwickelt, hat die Technik der Zukunft in der Hand. Derzeit liefern sich weltweit etliche Firmen und Staaten ein großes Wettrennen. Wer sich am Ende durchsetzt, ist noch nicht klar.

  • In den USA sind vor allem große Spieler wie IBM, Google und Amazon vorne mit dabei. Dazu mischen in den USA, Kanada und Europa etliche Start-ups mit. In China finden vor allem staatlich getriebene Aktivitäten statt.
  • Auch in Deutschland und Bayern gibt es nennenswerte Fortschritte auf dem Weg zu Quantencomputern. Im Freistaat sticht das Munich Quantum Valley hervor, ein 2021 gegründeter Zusammenschluss von sieben großen Forschungseinrichtungen. Ziel ist der Bau leistungsfähiger Quantencomputer.

Woran scheitert das eigentlich noch? Pressesprecher Sascha Mehlhase zufolge gibt es drei Grundprobleme:

  1. Fehlerkorrektur: Quantencomputer machen Fehler. Das liege daran, dass die im Computer eingesetzten Qubits – diese können (in Überlagerung) die Zustände 0 und 1 zugleich annehmen – enorm empfindlich sind. Derzeit reiche ein Fehler, damit die komplette Rechnung verloren geht. Ziel ist es, dass Fehler in einzelnen Qubits kompensiert werden können.
  2. Skalierung: Aktuell werde mit Quantencomputern gearbeitet, die über ein paar Dutzend oder mehrere Hundert Qubits verfügen. Perspektivisch sollen in den Computern etliche Tausend oder sogar Millionen Qubits eingesetzt werden. „Bis dahin dauert es noch ein bisschen“, sagt Mehlhase.
  3. Anwendungen: Noch ist vollkommen unklar, wofür Quantencomputer eingesetzt werden können. „Das ist vielleicht die größte Herausforderung“, sagt Mehlhase. Es gibt aktuell wenige Bereiche, in denen die neuartigen Rechner abgesehen von Verschlüsselungen sicher einen Vorteil bringen. Das könnte zum Beispiel beim Verständnis von Materialeigenschaften oder Molekülstruktureigenschaften der Fall sein.

Das Munich Quantum Valley will bis 2030 Quantencomputer entwickeln, die „erste relevante Probleme“ lösen können. IBM will in wenigen Jahren den Punkt erreichen, an dem ein Quantencomputer Probleme gleich gut oder besser als ein normaler Rechner lösen kann. Das sind aber noch keine Computer, die alle bisherigen Verschlüsselungen knacken können.

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